Per Hintergrundgespräch verlautbarte Umstruktierungspläne für das Bundesheer haben am Mittwoch für Aufruhr gesorgt. Die Opposition sprach von „Verfassungsbruch“ und ortete eine „Nebelgranate“ just am Tag der Befragung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im „Ibiza“-U-Ausschuss. Ressortchefin Klaudia Tanner (ÖVP) rückte aus, um zu kalmieren – und wurde auch beim Bundespräsidenten vorstellig.
Die Kommunikation der Pläne für das Bundesheer überraschten wohl auch den offiziellen Oberbefehlshaber. Noch am Mittwoch bat Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Ministerin zur Unterredung, um sich umfassend berichten zu lassen. Für die Zukunft wurde vereinbart, „einen intensiveren Informationsaustausch zu pflegen“, hieß es. Über genauere Inhalte oder Ergebnisse des Gesprächs gab es vonseiten der Präsidentschaftskanzlei aber keine Informationen. Die Unterredung sei vertraulich gewesen.
Das Verteidigungsministerium wollte den Inhalt des Gesprächs ebenfalls nicht kommentieren. Ein Sprecher verwies aber auf Tanners schon am Nachmittag erfolgte Zusicherung, dass die Landesverteidigung Kernaufgabe des Bundesheeres bleibe. Die am Vormittag präsentierten Reformideen wurden vom Ministerium nun nur noch als „Startschuss für einen Prozess zur Weiterentwicklung des Bundesheeres“ gesehen.
Kalmierung per Aussendungen
„Ich kann die Diskussion über die diversen Ideen, die am Montagabend mit Journalisten besprochen wurden, absolut nachvollziehen und freue mich über die offene Debatte in der Gesellschaft“, hieß es von Tanner am Abend noch einmal in einer Aussendung. Nun werde sich „der Generalstab mit den Vorgaben aus dem Regierungsprogramm und den daraus entstandenen Ableitungen befassen“. Laut der Ministerin bleiben aber „alle Garnisonen bestehen“ und behalten „alle Mitarbeiter“ ihre Beschäftigung. Auch „schweres Gerät“ werde es weiterhin geben.
Bereits zuvor hatte die Ministerin – ebenfalls per Aussendung – mitgeteilt, die militärische Verteidigung bleibe „im völligen Einklang mit der Bundesverfassung“ Kernaufgabe. Aber man werde andere Aufgaben daneben in den Mittelpunkt stellen – und sich neben der „klassischen Landesverteidigung auch der zukünftigen Landesverteidigung widmen“. „Das Bundesheer wird stärker als je zuvor“, verwies sie auf eine zehnprozentige Budgetsteigerung.
Opposition empört
Der Hinweis auf die Verfassung kann als Reaktion auf die Kritik verstanden werden, die bereits kurz nach Bekanntwerden der Pläne laut wurde. Tanner plane einen „Kahlschlag“ beim Heer, Sicherheit und Neutralität seien gefährdet, kritisierte die SPÖ. Die FPÖ sah einen „glatten Bruch des Verfassungsgesetzes“ und forderte die Ablöse Tanners. Dass die Pläne just am Tag der Aussage von Bundeskanzler Kurz im „Ibiza“-U-Ausschuss bekanntwurden, empfand die Opposition als Versuch, von Skandalen in den Reihen der ÖVP abzulenken. Das sei der „verzweifelte Versuch einer Nebelgranate“, befand NEOS.
Scharf reagierte ein Vorgänger Tanners, Mario Kunasek (FPÖ): Bis zu 3.000 Arbeitsplätze würden gestrichen bzw. nicht nachbesetzt, komplette Großverbände (Brigaden) aufgelöst, das Heeresbudget um mehrere hundert Millionen jährlich gekürzt werden. Damit würde dem Bundesheer „endgültig der Todesstoß versetzt“ und die Neutralität „komplett ausgehöhlt“. Zurückhaltender war der bisher letzte SPÖ-Verteidigungsminister und jetzige burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil: Er verzichtete auf „vorschnelle Schlüsse“ und wartete auf ein detailliertes Konzept Tanners.
Der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) deponierte unterdessen die bei Heeresreformdebatten übliche Forderung der Bundesländer nach Erhalt der Kasernenstandorte. „Gegen die von der Bundesregierung ausgegebene Neuorientierung und Schwerpunktsetzung des Bundesheeres spricht grundsätzlich nichts“, stellte Stelzer in einer Presseaussendung Mittwochnachmittag fest. Eine moderne Landesverteidigung brauche aber die „starken oberösterreichischen Kasernenstandorte“ – mehr dazu in ooe.ORF.at.
Neue Schwerpunkte verkündet
Verkündet worden waren die Pläne in einem Hintergrundgespräch – an dem Tanner selbst gar nicht teilgenommen hatte. Die Ressortführung teilte dort mit, dass die militärische Landesverteidigung kein Schwerpunkt mehr sei – und das Heer auf Cyberdefence und Katastrophenschutz ausgerichtet werden soll. Die von Übergangsminister Thomas Starlinger geforderten 16 Mrd. Euro erachtet man für „nicht realistisch“, die von ihm gezeichneten Bedrohungsszenarien für übertrieben.
Konventionelle Angriffe und systemischer Terrorismus – wie in Starlingers Bericht beschrieben – sind für die jetzige Ressortführung keine „eintrittswahrscheinliche Bedrohung“ mehr. Sie sieht die großen Herausforderungen für das Heer in Naturkatastrophen, Migration, Pandemien, Cyberdrohungen, einem Blackout und einzelnen Terrorangriffen.
Deshalb soll die militärische Landesverteidigung auf das Minimum reduziert werden. Schwere Waffen und Personal (durch natürliche Abgänge) werden reduziert, Kasernenschließungen sind nicht ausgeschlossen, Bataillone sollen zwar nicht aufgelöst, aber zu Jägerbrigaden umstrukturiert werden. Außerdem will man – nach dem als Erfolg gefeierten Einsatz in der Coronavirus-Krise – die Milizkomponente ausbauen.
Grüne wollen sich Vorschläge „sehr genau ansehen“
Vonseiten des Koalitionspartners hieß es am Mittwoch, man werde sich die Vorschläge „sehr genau anschauen und mit Blick auf unsere Neutralität prüfen“. Die präsentierte Umstrukturierung sei „tiefgreifend“ und würde das Bundesheer maßgeblich verändern, stellte Wehrsprecher David Stögmüller fest. Er werde in den nächsten Tagen Gespräche mit der vom Koalitionspartner gestellten Ministerin führen.
Vorerst sagte er zu ihren Plänen: Das Bundesheer hat laut Verfassung die Verantwortung für die Landesverteidigung. „Das bedeutet nicht nur, dass es bei Katastrophen wie der Covid-19-Krise einsatzbereit ist, sondern auch, dass es zum Beispiel unseren Luftraum überwacht, bei Cyberattacken unterstützen kann und unseren europäischen Partnern bei Auslandseinsätzen zur Seite steht.“ Ein modernes Heer müsse natürlich kosteneffizient geführt werden. Aber eine effizientere Verwaltung dürfe nicht auf Kosten der Handlungsfähigkeit passieren, so Stögmüller.
Die Frage, wieweit ein Umbau des Heeres in Konflikt mit der Verfassung gerät, scheint nicht so leicht zu beantworten. Die militärische Landesverteidigung ist zwar – im Bundesverfassungsgesetz abgesichert und auch im Wehrgesetz unterstrichen – erstrangige, aber nicht einzige Aufgabe. Und „feste, kalkulierbare Grenzen“ gebe es hier nicht, also habe die Regierung Spielraum, sagte der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk.
An Grenzen stößt laut Funk die verfassungsrechtliche Kontrolle. Denn die Regierung wird sicherlich nicht die „militärische Landesverteidigung“ aus dem Wehrgesetz streichen. Das könnte man mit Erfolg beim Verfassungsgerichtshof anfechten. Aber „das läuft auf einer anderen Ebene“, so der Verfassungsrechtler. Wenn durch Reduktion – oder Umverteilung – der Mittel die militärische Landesverteidigung „schleichend ausgehöhlt“ wird, „laufen die traditionellen Möglichkeiten der verfassungsrechtlichen Kontrolle weitgehend leer“. Möglich wäre da allenfalls ein Misstrauensvotum oder eine Ministeranklage – für die aber eine (ohne Regierungsparteien nicht gegebene) Mehrheit im Nationalrat nötig wäre.
Quelle: orf.at
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